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Genetik der Medikamentenverstoffwechselung (Pharmakogenetik)

Ungünstige genetische Ausstattungen des Entgiftungssystems können nicht nur unerwünschte Arzneimittelwirkungen hervorrufen, sondern auch die Entwicklung verschiedener Erkrankungen fördern. Dazu gehören Migräne, chronisches Erschöpfungssyndrom (CFS), multiple Chemikalien-Sensitivität (MCS), Tumore, Rheuma, Alzheimer und andere chronische Erkrankungen. 

Biochemie 

Bedingt durch fortschreitende Entwicklungen der chemischen und pharmazeutischen Industrie, aber auch höhere Belastung der Umwelt ist der menschliche Organismus einer immer größer werdenden Menge an Schadstoffen, Fremdstoffen und Medikamenten ausgesetzt. Diese müssen vom Entgiftungssystem des Körpers (vor allem der Leber) metabolisiert werden. Die exogenen Fremdstoffe sind meist lipophil, so dass sie ohne weitere Modifikation nicht ausgeschieden werden können. Dies gilt auch für viele endogen synthetisierte Stoffe, wie z.B. Hormone. Dem menschlichen Organismus steht für den Metabolismus dieser Substanzen eine spezifische Enzymausstattung zur Verfügung, die die Neutralisierung und somit die Umwandlung in ausscheidungsfähige Endprodukte ermöglicht. Dieser Detoxifikationsprozess läuft meist in zwei Phasen ab:

In der ersten Phase werden toxische Substanzen mittels verschiedener Cytochrom P450-Enzyme reduziert, hydrolysiert und oxidiert. Die Produkte der Phase I sind zumeist kurzfristig sogar aggressiver als das primäre Toxin, so dass die schnelle Entgiftung in der Phase II essentiell ist.

In der zweiten Phase werden dann polare hydrophile Moleküle wie Glutathion, Acetat, Cystein, Sulfat, Glycin oder Glucuronat an die Metaboliten der Phase I angelagert. Erst jetzt stehen diese in wasserlöslicher Form für die biliäre bzw. renale Ausscheidung zur Verfügung. Wichtige Phase-IIEnzyme sind: Glutathion-S-Transferasen (GST) und N-Acetyltransferasen (NAT). 

Diagnostik 

Die Effektivität der Metabolisierung von Arzneimitteln und Fremdstoffen ist von einem optimalen Zusammenspiel der am Entgiftungsprozess beteiligten Enzyme abhängig. Genetische Polymorphismen in den Enzymen des Arzneimittelstoffwechsels können zu unerwünschten Nebenwirkungen führen oder für eine fehlende therapeutische Wirkung verantwortlich sein. 

Phase I
Genvarianten in den Cytochrom P450 (CYP)-Enzymen CYP1A1, CYP1A2, CYP2A6, CYP2C8, CYP2C9, CYP2C19, CYP2D6 und CYP3A5 geben Auskunft darüber, ob bestimmte Gruppen von Schadstoffen entgiftet werden können oder sich im Körper anreichern. 

Phase II
Genvarianten in den Glutathion-S-Transferasen (GST) GSTM1, GST-T1 und GST-P1 führen zu einer schlechteren Entsorgung der äußerst radikalen Zwischenprodukte aus den Phase I-Reaktionen und vermitteln dadurch eine Disposition für Tumore, neurodegenerative Erkrankungen und Zustände, die mit oxidativem Stress assoziiert sind. Ausbleibende therapeutische Wirkungen von Medikamenten gehen damit ebenfalls einher. 

Varianten im N-Acetyltransferase 2 (NAT2)-Gen führen in der Phase II zum „langsamen Acetylierer“-Typ. Durch Anreicherung toxischer Phase I-Metabolite kann es zu klinisch relevanten unerwünschten medikamentösen Nebenwirkungen, wie Hypersensitivität, Neuropathie oder Leukopenie kommen. 

Chemotherapeutika
Eine Thiopurin-S-Methyltransferase (TPMT)-Defizienz führt zur hämatopoetischen Toxizität mit Myelosuppression nach Gabe von Azathioprin, 6-Mercaptopurin oder 6-Thioguanin. Die Häufigkeit von homozygoter TPMT-Defizienz bei Kaukasiern wird mit etwa 1:300 angegeben. Die heterozygote TPMT-Defizienz findet man bei 10% der Bevölkerung. Auch diese Gruppe hat ein größeres Risiko für Nebenwirkungen infolge der Einnahme thiopurinhaltiger Arzneimittel. 

Bei der Chemotherapie mit 5-Fluorouracil (5-FU) und dessen Prodrug (Capecitabin) ist die Funktionalität der Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPYD) als wichtigstes Abbauenzym von entscheidender Bedeutung. Varianten im DPYD-Gen führen zu einem verringerten Metabolismus und können zu unerwünschten toxischen Reaktionen führen (z.B. Myelosuppression).

Patienten, die eine genetisch bedingte veränderte Aktivität des Enzyms Methylentetrahydrofolat-Reduktase (MTHFR) aufweisen, haben unter Therapie mit Methotrexat ein er- höhtes Risiko für das Auftreten von Nebenwirkungen (z.B. schwere Blutbildveränderungen, Mukositis, Hyperhomocysteinämie). 

Transportproteine
Das Multidrug resistance-1 (MDR1)-Gen kodiert für das Transportmolekül P-Glycoprotein (PGP), über das zahlreiche Medikamente aus der Zelle geschleust werden. Ein Polymorphismus im MDR1-Gen führt zur erniedrigten Aktivität des Transporters und somit zu einer höheren Resorption und Bioverfügbarkeit der betroffenen Pharmaka. 

Indikationen 

  • In Vorbereitung entsprechender medikamentöser Therapien bzw. bei Verdacht auf Arzneimittelunverträglichkeiten
  • Patienten mit Verdacht auf umweltmedizinische Erkrankungen durch berufliche oder anderweitige Schadstoffexposition
  • Präventiv bei Personen mit permanenter beruflicher Schadstoffexposition (insbesondere Kanzerogene) 

Material 

2 ml EDTA-Blut 

Der Transport ins Labor ist nicht zeitkritisch und kann per Postversand erfolgen. Für die genetische Untersuchung benötigen wir die Einverständniserklärung des Patienten. 

Abrechnung 

Pharmakogenetische Untersuchungen werden von privaten und bei einigen Indikationen (siehe Anforderungsschein Pharmakogenetik) auch von gesetzlichen Kassen getragen. Als eine molekulargenetische Untersuchung ist die Anforderung vom Laborbudget befreit. Toxikogenetische Untersuchungen werden von privaten Kassen erstattet. Kassenversicherte können diese Leistungen als Selbstzahler anfordern.

Wichtige Enzyme für die Metabolisierung von Arzneimitteln bzw. deren Substraten sind in der folgenden Tabelle aufgeführt. Die Auswahl ist beispielhaft:
AlprenololCYP2D6FluconazolCYP2C9, CYP2C19ProguanilCYP2C19
AmiodaronCYP3A4FluoxetinCYP2C9, CYP2C19, CYP2D6PropafenonCYP2D6
AmitriptylinCYP2C19, CYP2D6FluvastatinCYP2C9, CYP2C19PropranololCYP1A2, CYP2C19, CYP2D6
AmphetamineCYP2D6HaloperidolCYP1A1, CYP2D6RanitidinCYP2D6
AnthracyclineMDR1HydralazinNAT2RemoxipridCYP2D6
BarbiturateCYP2C19IbuprofenCYP2C9RisperidonCYP2D6
BufuralolCYP2D6ImipraminCYP1A2, CYP2C19, CYP2D6RitonavirMDR1
CaffeineCYP1A1, CYP1A2IsoniazidNAT2SaquinavirMDR1
CaptoprilCYP2D6LansoprazolCYP2C19SertindolCYP2D6
CarbamazepinCYP2C19LidocainCYP2D6SertralinCYP2C19, CYP2C9
CarvedilolCYP2D6LosartanCYP2C9SparteinCYP2D6
CelecoxibCYP2C9LovastatinCYP2C9, CYP2C19SulfamethoxazolCYP2C9
ChinidinCYP2D6MaprotilinCYP2D6TacrolimusCYP3A4, CYP3A5, MDR1
ChlorpropamidCYP2D6MefenaminsäureCYP2D6TamoxifenCYP2C9, CYP2C19, CYP2D6
CimetidinCYP2D6MexiletinCYP2D6TaxaneMDR1
CitalopramCYP2C19, CYP3A4MoclobemidCYP2C19, CYP2D6TestosteronCYP2C9
ClomipraminCYP2C19, CYP2D6ModafinilCYP2C19ThioridazinCYP2D6
ClonazepamNAT2MorphinCYP2D6TimololCYP2D6
ClozapinCYP1A1, CYP1A2NaproxenCYP1A2TolbutamidCYP2C9
CocainCYP2D6NitrazepamNAT2TorasemidCYP2C9
CodeinCYP2D6NortriptylinCYP2D6TramadolCYP2D6
CoumadinCYP2C9OmeprazolCYP2C19, CYP2D6TrifluperidolCYP2D6
Cyclosporin ACYP3A4, CYP3A5Paclitaxel (Taxane)MDR1, CYP2C8TrimethoprimCYP2C9, CYP2C19
DesipraminCYP2D6PantoprazolCYP2C19TropisetronCYP2D6
DextromethorphanCYP2D6ParoxetinCYP2D6VenlafaxinCYP2D6
DiazepamCYP2C19PerphenazinCYP2D6VerapamilCYP1A2
DiclofenacCYP2C9PhenobarbitalCYP2C19VincaalkaloideMDR1
DiltiazemCYP2D6PhenylbutazonCYP2C19, CYP2C9WarfarinCYP2C9, CYP2C19
EncainidCYP2D6PhenytoinCYP2C19, CYP2D6ZolmitriptanCYP1A2
EstradiolCYP1A2PiroxicamCYP2C9ZuclopenthixolCYP2D6
FentanylCYP2D6, CYP3A4PrednisolonCYP2C19  
FlecainidCYP2D6ProcainamidNAT2  

Xenobiotika

Glutathion-S-Transferasen (GST) spielen eine Schlüsselrolle bei der zellulären Detoxifikation von Karzinogenen und Xenobiotika. Genvarianten der GSTs führen zu einer schlechteren Entsorgung der äußerst radikalen Zwischenprodukte aus den Phase I-Reaktionen. Die Untersuchung auf genetische Varianten ist daher angeraten bei verstärkter Schadstoffexposition, insbesondere Kanzerogene. Eine Assoziation von bestimmten Genotypen mit einigen Tumorarten und neurodegenerativen Erkrankungen konnte bereits gezeigt werden.

GST-T1Detoxifiziert u.a. Kanzerogene aus Zigarettenrauch, ist aber auch an der Bildung toxischer Metabolite aus z.B. Dichlormethan beteiligt. Assoziation mit Brust- krebs. Etwa 20 % der kaukasischen Bevölkerung zeigen einen kompletten Funktionsverlust des Enzyms.
GST-M1Entgiftet u.a. Epoxide. Assoziation mit Brust- und Blasenkrebs. Etwa 50 % der kaukasischen Bevölkerung zeigen einen kompletten Funktionsverlust des Enzyms
GST-P1Entgiftet zahlreiche elektrophile Metaboliten.

Literatur

  • Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforsch – Gesundheitsschutz (2004): Genetische Polymorphismen von Fremdstoff-metabolisierenden Enzymen und ihre Bedeutung für die Umweltmedizin. 47:1115-1123.
  • Schwab, M. et al. (2002): Pharmakogenetik der Zytochrom-P-450-Enzyme. Bedeutung für Wirkungen und Nebenwirkungen von Medikamenten. Deutsches Ärzteblatt 8 (Jg 99).
  • Innocenti, F. & Ratain, M.J. (2002): Update on pharmacogenetics in cancer chemotherapy. Eur J Cancer 38: 639-644.