PDF Download

Diagnostik bei Verdacht auf Urtikaria

Die Urtikaria ist eine Mastzell-assoziierte Erkrankung, die ca. 9 % der deutschen Bevölkerung in ihrem Leben mindestens 1x betrifft. Durch unterschiedliche Auslöser kommt es bei den Betroffenen zur Freisetzung von Histamin und weiteren vasoaktiven Mediatoren durch die Mastzellen der Haut. Das klinische Erscheinungsbild der Urtikaria ist charakterisiert durch die Bildung von Quaddeln und/oder Angioödemen (Abb. 1). Die Erkrankung ist mit einem hohen Leidensdruck verbunden, da die Patienten zum einen unter starkem Juckreiz leiden und zum anderen Angst vor den teils unerwartet auftretenden Schwellungen haben.

Abb. 1  Klinische Bilder der Urtikaria

Klassifikation der Urtikaria-Formen

Je nach Dauer und Auslöser werden bei der Urtikaria folgende Typen und Sub-Typen unterschieden:

  • akute Urtikaria: Dauer < 6 Wochen
  • chronisch spontane Urtikaria (CSU): Dauer > 6 Wochen - Allergisch - „Auto-Allergisch“ (Typ I) - Autoimmun (Typ IIb)
  • induzierbare (physikalische) Urtikaria:
    - Kältekontakturtikaria
    - Verzögerte Druckurtikaria
    - Wärmekontakturtikaria
    - Lichturtikaria
    - Urticaria factitia
    - Vibratorische Urtikaria
    - Aquagene Urtikaria
    - Cholinergische Urtikaria (Anstrengung/Sport)
     
  • allergisch bedingte Urtikaria:
    - Kontakturtikaria
    - Anstrengungsinduzierte Urtikaria

Differentialdiagnostisch ist die Urtikaria von der Urtikariavaskulitis, der Urtikaria pigmentose, der familiären Kälteurtikaria und dem nichthistaminergen Hereditären Angioödem (Diagnostikinformation 316) zu unterscheiden.

Diagnostik

Die akute spontane Urtikaria bedarf nur in Ausnahmefällen einer weiterführenden Diagnostik. Hierzu zählen der Verdacht auf Nahrungsmittelallergien oder die Unverträglichkeit von Nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR). Halten die Beschwerden jedoch über 6 Wochen an, so spricht man definitionsgemäß von einer chronischen Urtikaria. In diesem Fall ist eine weiterführende Diagnostik indiziert. Neben der Erfassung der Krankheitsaktivität und Krankheitskontrolle (z. B. mittels Urtikaria Activitätsscore und Urtikariakontrolltest), um später den Behandlungserfolg einschätzen zu können, sollte nach möglichen individuellen Auslösern und Triggerfaktoren gefahndet werden. Während die Auslöser bei der induzierbaren Urtikaria schnell identifiziert sind, sind sie bei der CSU meist unbekannt.

Identifikation externer Triggerfaktoren

Auch wenn man nach aktuellem Kenntnisstand davon ausgeht, dass primär autoimmunologische Prozesse die CSU auslösen, so können verschiedenste Triggerfaktoren eine begünstigende oder Schub-auslösende Rolle spielen. Bei eindeutiger Anamnese empfiehlt sich die gezielte Bestimmung von spezifischen IgE-Antikörpern gegen den verdächtigten Auslöser (z.B. gegen α-Gal - rotes Fleisch oder Anisakis simplex - Fischparasit). Für den Fall, daß eine anamnestische Eingrenzung nicht möglich ist, kann ein Screening häufig berichteter Auslöser mittels IgE-Symptomprofil Urtikaria erfolgen (Abb. 2). Ein allumfassendes Sensibilisierungsprofil bietet ebenfalls das ALEX-IgE-Allergenprofil, welches spez. IgE gegenüber 300 bekannten Allergie-Auslösern (inkl. Nahrungsmittel, Tierepithelien, Schimmelpilzen und Milben) untersucht.

Abb. 2  Musterbefund des IgE-Symptomprofils Urtikaria

Ein Teil der Urtikaria-Patienten profitiert von einer Pseudoallergen- oder Histamin-armen Diät. So genannte pseudoallergische Triggerfaktoren (z. B. Nahrungsmittelzusätze und Medikamente) können durch die IgE-Bestimmung jedoch nicht erfasst werden, da diese Reaktionen zumeist IgE unabhängig sind. Hier empfiehlt sich der Basophilenaktivierungstest (BAT). Bei diesem Test werden angereicherte Basophile Granulozyten des Patienten im Labor mit dem vermuteten Allergen konfrontiert. Bei bestehender allergischer Sensibilisierung werden die in diesem Fall gebildeten Leukotriene nachgewiesen. Es handelt sich somit um einen „in vitro-Provokationstest“ (Diagnostikinformation 104 & 122).

Abb. 3  Kategorisierung der chronisch spontanen Urtikaria (CSU) nach Pathomechanismus

Identifikation autoimmunbedingter Auslöser

Der BAT kann unter Verwendung isolierter Basophiler Granulozyten ebenfalls dazu genutzt werden, um die autoimmun-bedingte CSU zu diagnostizieren. Hier wird die „autoallergische“ Form vom autoimmunen Typ IIb unterschieden. Bei der autoallergischen Form entwickeln die Patienten IgE-Antikörper gegen körpereigene Strukturen. Beim autoimmunen Typ IIb richten sich Auto-Antikörper vom Typ IgG gegen IgE-Antikörper oder gegen den IgE-Rezeptor (FcεRI) (Abb. 3). Die CSU vom TYP IIb ist mit einer Prävalenz von 1:500 zwar die seltenere Form, im Labor kann sie jedoch mit hoher Zuverlässigkeit durch einen BAT auf Patienteneigenes Serum diagnostiziert werden. Liegen in dem Serum entsprechende Autoantikörper vor, kommt es zur Basophilen Granulozyten-Aktivierung (Abb. 4).

Abb. 4  Basophilenaktivierungstest auf Eigenserum zur Diagnose autoimmun-bedingter CSU

Für die auto-allergische Urtikaria ist eine Identifikation der Autoallergene aktuell nur in spezialisierten Zentren (z. B. Allergy-Centrum-Charité) möglich, da hier eine Vielzahl an Auslösern beschrieben sind (z.B. IL-24 und TPO). Da bei unserem Test aufgereinigte Zellen zum Einsatz kommen, setzen wir neben den Fremdzellen eines gesunden Spenders auch die Zellen des Patienten ein. Reagiert nur der Patient, jedoch nicht der gesunde Spender auf das Patientenserum, ist dies ein Hinweis auf ein autoallergisches Geschehen.

Behandlung

Neben der Vermeidung der auslösenden Triggerfaktoren (Tabelle 1) werden entsprechend der aktuell gültigen europäischen Leitlinie zur symptomatischen Behandlung in erster Linie Anti-Histaminika der 2ten Generation eingesetzt. Sofern sich hier bei regelmäßiger Gabe der empfohlenen Dosis nach 2-4 Wochen keine Besserung ergeben hat, kann die Dosis bis auf ein 4faches erhöht werden. Bei Patienten, die auch unter dieser Therapie keine Besserung verspüren, kann auf ein Biologikum (Omalizumab oder Ligelizumab) zurückgegriffen werden.

Da mehrere Studien eine hohe Prävalenz für Vitamin DMangel bei CSU-Patienten belegen und in diesem Falle eine Supplementierung zur Verbesserung der Symptomatik beiträgt bei bisher ausbleibenden Nebenwirkungen, empfiehlt sich die Kontrolle der Vitamin D-Spiegel und ggfls. der Ausgleich von Mangelzuständen.

Patienten mit diagnostizierter CSU vom Typ IIb haben ein erhöhtes Risiko für autoimmun-bedingte Schilddrüsenerkrankungen, daher sollten bei diesen Patienten ebenfalls die Schilddrüsen-Autoantikörper untersucht werden. Darüber hinaus werden hohe Titer von autoreaktiven IgG-Antikörpern gegen thyroidale Peroxidase (TPO-AK) in Verbindung mit einem niedrigen gesamt-IgE mit einem schwereren Krankheitsverlauf assoziiert. Auch weitere Autoimmunerkrankungen wie Zöliakie, Typ 1 Diabetes, rheumatoide Arthritis, SLE und Sjögren’s syndrome treten bei diesen Patienten gehäuft auf.

Material

Bestimmung von spez. IgE: 10 ml Vollblut zur Serumgewinnung (ausreichend für mindestens 20 Allergene)

BAT: 2 ml Heparinblut pro Allergen (alternativ EDTA-Blut)

BAT Urtikaria: 4 ml Heparinblut (alternativ EDTA) + 3ml Vollblut (1 ml Serum)

Für den BAT muss ein Probeneingang im Labor innerhalb von 24 Stunden (24h) gewährleistet sein. Das Blut sollte bei Raumtemperatur gelagert und transportiert werden. Innerhalb der Berliner Stadtgrenzen bieten wir Ihnen unseren Fahrdienst an (+49 (0)30 77001-250), für überregionale Abholungen kontaktieren Sie bitte den kostenfreien Kurierservice unter +49 (0)30 77001-450.

ALEX IgE-Profil: 3 ml Vollblut (1 ml Serum)

Abrechnung

Eine Abrechnung ist (mit Ausnahme des ALEX) bei gegebener Indikation im kassen- und privatärztlichen Bereich gegeben. Eine Abrechnung des ALEX ist derzeit nur im privatärztlichen Bereich möglich. Die Kosten für Selbstzahler entnehmen Sie bitte dem  PDF-Dokument

Literatur

  • Zuberbier et al. EAACI/WAO guideline for the definition, classification, diagnosis and management of urticaria. Allergy 2018
  • Maurer Chronische Urtikaria – Was bringt die neue Leitlinie? JDDG 2018
  • Jaros et al. Diet and Chronic Urticaria: Dietary Modification as a Treatment Strategy. Dermatol. Pract. Concept 2020
  • Bansal & Bansal. Stress, pseudoallergens, autoimmunity, infection and inflammation in chronic spontaneous urticaria. Allergy Asthma Clin Immunol 2019
  • Pollack et al. α-Gal Syndrome vs Chronic Urticaria. Jama Dermatol 2019
  • Confino-Cohen et al. Chronic urticaria and autoimmunity: associations found in a large population study. JACI 2012

Tabelle 1 Übersicht empfohlener Trigger-Diagnostik bei Urtikaria

KLINIKDIAGNOSTIK
Diagnostik entsprechend EAACI/WAO Leitlinie (2018)
Akute spontane UrtikariaKeine (außer bei Verdacht auf Allergie)
induzierbare UrtikariaKeine Labordiagnostik, jedoch Nachweis des auslösenden Reizes sowie des Schwellenwertes mittels Provokation. Da häufig gleichzeitig mehrere Subtypen der induzierbaren Urtikaria vorkommen, sollten alle in Frage kommenden Auslöser überprüft werden.
Chronisch spontane Urtikaria (CSU)

Allgemein: Differentialblutbild, Blutsenkungsgeschwindigkeit, CRP Klinisch: Bestimmung der Krankheitsaktivität mittels Urtikaria-Aktivitätstest (UAS)

Labordiagnostisch: Infektionskrankheiten als Auslöser (z.B. Helicobacter pylori) BAT Urtikaria (Autoimmunität als Auslöser) Schilddrüsenerkrankungen (Hormone und Auto-Antikörper) Systemische Erkrankung (z. B. Mastozytose: Tryptase-Bestimmung DiagInfo 244)

Zusätzliche induzierbare Urtikaria Allergietestung (Identifikation Triggerfaktoren, siehe unten)

Identifikation von Triggerfaktoren
Patienten mit Urtikaria-Schüben 2-6 Stunden nach Verzehr von rotem Fleisch und Zeckenbiss in der AnamneseSpezifisches IgE auf α-Gal (Anforderung: o215)
Material: 1 ml Vollblut zur Serumgewinnung
Patienten mit Urtikaria-Schüben nach Verzehr von rohem, mariniertem oder geräuchertem FischSpezifisches IgE auf Anisakis simplex (p4)
Patienten mit Verdacht auf allergischen Auslöser (z. B. Nahrungsmittel, Schimmel, Milbe, Tiere,…) und atopische Komorbiditäten (z.B. Asthma)

- IgE Symptomprofil Urtikaria
Material: 3 ml Vollblut zur Serumgewinnung

oder
- ALEX-IgE-Allergenprofil (enthält Anisakis, jedoch kein α-Gal)
DiagInfo 318
Material: 3 ml Vollblut (Serum), keine gesetzliche Kassenleistung

Patienten mit Urtikaria-Schüben nach Genuss stark verarbeiteter Lebensmittel und assoziiertem Verdacht auf pseudoallergische TriggerfaktorenBAT auf Nahrungsmittelzusätze und Tomate
DiagInfo 104
Material: 2 ml Heparinblut pro Allergen (alternativ EDTA-Blut)
Probeneingang innerhalb 24 Std.
Patienten mit Urtikaria-Schüben nach Genuss Histamin-haltiger NahrungsmittelHistamin im EDAT-Blut und DAO-Aktivität
DiagInfo 118
Material: 2 ml Heparinblut, 3 ml Vollblut zur Serumgewinnung
Probeneingang innerhalb 24 Std.
Patienten mit Urtikaria-Schüben nach Medikamenteneinnahme (z. B. Nichtsteroidale Antirheumatika)BAT auf mitgesendetes Medikament
DiagInfo 108
Material: 2 ml Heparinblut pro Allergen (alternativ EDTA-Blut)
Probeneingang innerhalb 24 Std.